Geschichten

Der Hannickel zu Altrinzenberg war ein Mann, den die Sorgen ums tägliche Brot sehr drückten; trotz des redlichsten Fleißes wurde es ihm immer schwerer, sich und die Seinen zu ernähren. Da hatte er einmal nachts einen seltsamen Traum. An seinem Bette stand ein Mann, der sagte: „Du mühst und plagst dich umsonst! Zu Koblenz auf der Brück’, da findest du dein Glück.“ Als sich der Traum zum zweiten- und drittenmal wiederholte, erzählte er seiner Frau davon. Die meinte, es könne ja nichts schaden, wenn er einmal hinginge und nachschaue. Gut, unser Bäuerlein macht sich auf den Weg vom Hochwald dem Rheine zu; kaum gönnt er sich unterwegs Zeit zum Essen und Schlafen, um ja sein Glück nicht zu versäumen.

Wie der Mann in der Rhein- und Moselstadt anlangte, ging er stracks zur alten Moselbrücke, um das verheißene Glück zu suchen. Jedes Steinchen kehrte er um, keine Ritze im alten Gemäuer übersah er; aber nirgends fand er das Gesuchte. Drei Tage lang mühte er sich vergebens; da ward er verdrießlich und rief: „Ich Esel, der ich an Träume glaubte! Hol der Teufel die Koblenzer Brücke samt ihrem Glück!“

Da trat ein ernster Mann an ihn heran; der schaute ihm verwundert ins Gesicht und sagte: „Ihr seid wohl nicht recht gescheit, dass Ihr so sehr an Träume glaubt; wie kann man denn auch sein Glück auf der Koblenzer Brücke suchen! Wäre ich so einfältig wie Ihr, so hätte ich längst das kleine Nest Rinzenberg aufgesucht, das ich bereits dreimal im Traume sah.“ Da spitzte unser Hochwaldmann die Ohren, und neugierig fragte er: „Was soll’s mit diesem Rinzenberg?“„Ei,“ versetzte der Moselaner, „dort soll im tiefen Dorfbrunnen seit Jahrhunderten eine Kiste voll Gold liegen.

Was man aber von solchen erträumten Schätzen zu halten hat, das seht Ihr jetzt wohl selber ein!“ Kaum hatte unser Rinzenberger Bauer dies gehört, so rannte er wie der Blitz davon. Im schnellsten Laufe eilte er den Rhein und die Nahe aufwärts seinem Hochwalddörfchen zu. Zur Nacht, als alles schlief, stieg er in den Dorfbrunnen und fand darin eine eiserne Kiste voll Gold bis oben hin.

So fand er doch sein Glück zu Koblenz auf der Brück’.

Quelle: Birkenfelder Landes-Lehrerverein (Hrsg.): Heimatkundliches Lesebuch für die Volksschulen des Landesteils Birkenfeld, I. Teil, 2. Auflage, 1928, S. 74f.

von Emil Hentze

Der Name „Gute Bure“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für „Guter Born“. Von der Ortschaft Rinzenberg aus erreicht man ihn zu Fuß in einer Stunde, von Börfink aus schon in einer guten Viertelstunde. Dieser Brunnen mitten im Wald hat eine lange Geschichte und für die Menschen aus der Umgebung seit alters her eine mythische Bedeutung.

Am oberen Rande der Brunneneinfassung steht ein aus Sandstein gehauener Gedenkstein mit einer Inschrift, auf die später noch näher eingegangen wird. Dieser Gedenkstein wurde 1972 von dem Heimatforscher Egon Schneider aus Börfink aus dem verschlammten Brunnenschacht gehoben und 1983/84 aufgestellt. Ein kleines steinernes Kreuz im Barockstil, das von dem Gedenkstein abgeschlagen war und neben der Brunnenfassung lag, setzte Julius Giebel wieder an die alte Stelle. Ein altes, zwei Meter hohes Eichenkreuz in grobem Hunsrückbarock geschnitzt steht daneben. Der Zustand des Kreuzes lässt auf ein Alter von ca. 150 bis 200 Jahre schließen. Der „Gute Bure“ ist bereits in einer handgezeichneten Land- und Waldkarte von 1623 eingezeichnet.

Eine Sage vom „Gute Bure“ wurde 1893 von der Lehrerin Kneszevic aus Birkenfeld im Heimatblatt veröffentlicht, die sie sich von einem alten Mütterchen wie folgt erzählen ließ:

Zur Römerzeit weidete ein Schäfer an der Stelle, an der heute der „Gute Bure“ ist, seine Schafe. Er war blind und tastete den Weg mit einem Stabe. Als er damit in der lockeren Walderde herumrührte, bemerkte er, dass plötzlich eine Quelle aus dem Boden sprudelte. Er rührte weiter, und der Wasserstrahl wurde stärker. Der blinde Mann bückte sich und wusch seine brennenden Augen. Als er aufblickte konnte er sehen. Voller Freude eilte er ins Dorf und erzählte seinen Freunden das Wunder, das ihm widerfahren war.

Bald kamen Kranke aus den umliegenden Dörfern, die einen mit Salzfuß, andere mit Ausschlag. Sie wuschen sich und wurden geheilt. Zum Dank trugen die Leute auch Häubchen oder Kopftücher, sowie Jäckchen und Hemdchen der geheilten Kinder an den „Gute Bure“ und hängten diese Kleidungsstücke an die umstehenden Bäume. Zuweilen füllten sie auch die Häubchen und Tücher mit Getreidekörnern. Diese begannen zu keimen, und die Halme wuchsen in die Bäume empor. Soweit die Sage von 1893.

Ein Mann aus Feckweiler ließ zum Dank für seine Heilung die Quelle fassen. Untersuchungen in den 70er Jahren ergaben, dass das Wasser des „Gute Bure“ Zink- und Chlorwasserverbindungen enthält (Zinksulfat, Zinkoxyd, Chloramin). Es ist anzunehmen, das der „Gute Bure“ den Kelten und Römern bekannt war. Mutungen von Mauerresten mit der Wünschelrute verstärken den Verdacht. Das Abstreichen des Geländes mit einer Sonde förderte zwei Münzen zutage, deren Alter, Material, Wertigkeit und Herstellungsland vom Landesmuseum in Trier untersucht wird.

Ältere Einwohner der umliegenden Ortschaften erinnern sich gut daran, dass in ihrer Kindheit noch Hemdchen, Höschen und Kopftücher von Kindern an den Bäumen rund um den „Gute Bure“ hingen, so wie es das alte Mütterchen 1893 erzählte. Der Gedenkstein beweist wohl die Heilkraft des Wassers. Johann Georg Michels, von Feckweiler, ließ diesen Stein 1837 setzen. Durch Waschungen mit dem Wasser des Brunnens wurde er von einem Hautauschlag geheilt. Der Glaube an die Heilkraft des Wassers ist auch in der Gegenwart noch sehr lebendig. 1980 ließ sich ein todkranker Mann aus Rinzenberg von seiner Frau das Wasser vom „Gute Bure“ holen.

1988 fassten die Heimatfreunde Paul Gordner aus Börfink und Emil Hentze aus Rinzenberg den Entschluss, den „Gute Bure“ in einen würdigen Zustand zu versetzen. Bis heute sind bereits umfangreiche Arbeiten zur Verschönerung der Anlage ausgeführt. Doch eine Sturmnacht am 27.02.1990 entwurzelte die um den Brunnen stehenden alten Buchen, die beim Niederschlagen das kleine Kreuz des Gedenksteines und das 200 Jahre alte eichene Holzkreuz zertrümmerten. Mittlerweile sind diese Schäden wieder behoben.

 

Quelle: Brucker, Heinrich: Rinzenberg. Dokumentation einer Hochwaldgemeinde mit vielen Bildern der letzten 100 Jahre, Rinzenberg: Ortsgemeinde o.J. (1995), S.118f.

Auf 644,4 Meter Höhe, im Staatsforstrevier Rinzenberg, in unmittelbarer Nähe des alten Grenzsteines mit der Jahreszahl 1853 und den Buchstaben OB auf der Westseite und KP auf der Ostseite des Steines, der einst den Grenzverlauf zwischen den Ländern „Königreich Preußen“ und „Großherzogtum Oldenburg“ zeichnete, steht ein drei Meter hohes aus Eichenholz grob gefertigtes Kreuz ohne Corpus, ohne Verzierung und Namen. Es wird im Volksmund „Graues Kreuz“ genannt. Der Trigonometrische Punkt ist in Kataster- und Wanderkarten ebenfalls mit der Bezeichnung „Am Grauen Kreuz“ eingetragen.

Einheimische wie Fremde, die hier vorübergehen, werden sich wohl fragen, wie dieses Kreuz an diesen Namen kommt. Denn selbst in den Sagensammlungen und geschichtlichen Abhandlungen dieser Landschaft wird dieses Kreuz nicht erwähnt. Wo kommt es her? Warum steht es ausgerechnet an einer Stelle, wo einst die römische Heeres- und Handelsstraße von Trier nach Mainz vorbeiführte, und die noch bis tief ins Mittelalter benutzt wurde? Der frühere Birkenfelder Heimatkundeforscher Professor Baldes weiß darauf in seinem Buch „Geschichtliche Heimatkunde der Birkenfelder Landschaft“ eine Antwort.

Es geschah zur Zeit des 30 jährigen Krieges im Jahre 1632, als Truppen des Schwedenkönigs Gustav Adolf die von Mainz aus sich zurückziehenden Truppen, die auf der Seite des Kaisers Ferdinand I. von Österreich kämpften, im „Schwarzwälder Hochwald“ zur Schlacht herausforderten. Auf ihrem Rückzug plünderten und brandschatzten die Spanier auch die Ortschaft Rinzenberg. Die Bewohner des Dorfes flüchteten beim Herannahen der Truppen in den Hochwald. Die schwedischen Einheiten, verbündet mit den Franzosen, holten die Spanier hoch oben auf dem Berg ein. Es kam zur Schlacht, in der die Spanier vernichtend geschlagen wurden. Niemand kümmerte sich um die umherliegenden Toten, sie blieben im Walddickicht liegen. Als die Kriegshorden abgezogen waren, wagten es einige der in den Wald geflohenen Rinzenberger in den Ort zurückzukehren. Hierbei kamen sie an der grauenvollen Todesstätte vorbei. In der Morgendämmerung mit ihren Nebelschwaden, die die Gegend dort oben sowieso schon gespensterhaft erscheinen lässt, den Verwesungsgeruch der Toten in den Nasen, eilten sie, von Angst und Grauen getrieben, ins Dorf zurück. Einige wenige Beherzte kehrten mit Hacken und Schaufeln zum unseligen Ort zurück, begruben die umherliegenden Toten in ein großes Grab und errichteten auf ihm ein hohes Kreuz. Das Kreuz des Grauens. Das „Graue Kreuz“. Da niemand die Namen der Toten kannte, vermerkte man weder was hier geschehen war, noch Zeit und Namen.

So lässt sich wohl der Name dieses schmucklosen Kreuzes erklären. Und ist dieses Kreuz vom Zahn der Zeit zernagt, oder vom Sturmwind zerbrochen, so wird es bis zum heutigen Tage immer wieder neu errichtet. Als im Frühjahr 1990 die verheerenden Stürme, die um das Kreuz stehenden alten Bäume umwarfen, brach auch das Kreuz unter deren Last zusammen. Wieder waren es Rinzenberger Bürger, die ein neues schlichtes Kreuz aus Eichenholz zimmerten und es, mit Zustimmung des örtlichen Forstbeamten, an dieser historischen Stelle errichteten.

 

Quelle: Brucker, Heinrich: Rinzenberg. Dokumentation einer Hochwaldgemeinde mit vielen Bildern der letzten 100 Jahre, Rinzenberg: Ortsgemeinde o.J. (1995), S.120f.

Es war im Jahre 1632, als in Rinzenberg ein neuer Schäfer gesucht wurde. Bald schon kam ein fremder Mann ins Dorf und bot seine Dienste an. „Ich bin der Claus! Seit meiner Kindheit bin ich mit Schäfern und deren Herden unterwegs, mit Tieren bestens vertraut, gebt mir die Stelle als Schäfer.“

Mit diesen Worten stellte sich eine finstere Gestalt dem Bürgermeister vor. Der lange, graue Mantel, in den er gehüllt war, der breitrandige, schwarze Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte, von dem außer einem zottigen Bart wenig zu erkennen war, hinterließen nicht gerade einen vertrauenserweckenden Eindruck. Verstärkt wurde dies noch durch zwei furchterregende Hunde an seiner Seite, die ihm jedoch sofort auf einen kurzen Pfiff hin gehorchten. Ohne Zustimmung des Dorfrates konnte das Amt des Schäfers nicht vergeben werden. Aber bis zu dieser Entscheidung durfte sich der Fremde im Hirtenhaus bei dem nahegelegenen Saupferch aufhalten.

Am späten Abend begaben sich Bürgermeister und Dorfrat zum Hirtenhaus um mit dem Fremden noch einige Fragen zu besprechen. „Verstehst Du Dich auf das Heilen von Tieren?“ wollte man wissen. „Bis heute ist es mir noch immer geungen, jedes kranke Tier zu heilen“ kam die Antwort. „Bist Du auch bereit, unsere Kühe zu hüten?“ Claus nickte. „Dann gibt es hier im Ort noch einen Zuchtstier, er ist so wild, dass sich keiner traut, sich ihm zu nähern. Glaubst Du, ihn bändigen zu können?“ Wortlos stand Claus auf, nahm seinen Hirtenstab und ließ sich zu dem Stierstall führen. Vorsichtig öffte man die obere Hälfte der geteilten Stalltür und schon stampfte das Tier heran. Doch statt schnell auszuweichen, gab der Schäfer mit seinem Stab dem Stier einen leichten Schlag auf den Kopf, und dieser bleib wie versteinert stehen. Claus nahm den Stier jetzt bei den Hörnern, führte ihn im Stall umher, streichelte ihn wie ein sanftes Lamm, bevor er ihn an einer Kette festband.

Dieser Mensch muß besondere Gaben oder übernatürliche Kräfte besitzen, dachten die Zuschauer, welche dieses Schauspiel aus sicherer Entfernung miterlebt hatten. Dass er mit Tieren umgehen konnte, hatte er jedenfalls auf eindrucksvolle Art bewiesen. Ein neuer Hirte war also gefunden. Claus verrichtete seinen täglichen Dienst. Sammelte morgens Kühe, Schafe und Ziegen ein, führte sie auf die Waldweiden und trieb sie am Abend in die Stallungen zurück.

Trotz seiner Zuverlässigkeit, ein Vertrauensverhältnis zu den Dorfbewohnern entwickelte sich nicht. Mißtrauen hegte man gegen ihn, welches durch weitere merkwürdige Ereignisse bestärkt wurde. Einen Dorfhund, der ihn anfallen wollte, ließ er durch eine kurze Berühung mit seinem Hirtenstab solange regungslos stehen, bis er ihn wieder durch einen Streich mit dem Stab aus der Erstarrung befreite. Zwei jungen Burschen, die ihn wegen seines Aussehens verspotteten, erging es nicht besser. Wie zu Steinen erstarrt blieben sie auf der Straße stehen, nachdem auch sie der Hirtenstab berührte. Ihre Erlösung geschah auch noch rätselhaftere Weise. Nicht Claus selbst tat es, sondern zwei Dorfbewohner, auf die er durch einfaches Handauflegen seine Zauberkraft übertragen hatte. Immer weniger wollte man im Dorf mit diesem unheimlichen Mann zu tun haben. Viele weigerten sich, ihm weiterhin ihr Vieh anzuvertrauen.

Doch dann kam ein Tag, an dem sich spanische Truppen auf der Flucht vor den Schweden dem Dorf näherten, um es zu plündern. Den Dorfbewohnern blieb nun nichts anderes übrig, als das Angebot des Hirten, wenigstens ihr Vieh zu retten, anzunehmen. Rechtzeitig, bevor die Soldaten das Dorf erreichten, führte Claus die Herde in den Wald zu einem steilen Felsen. Mit seinem Hirtenstab schlug er an die Felswand, die sich zum Erstaunen der Anwesenden öffnete und den Eingang zu einer Höhle frei gab. In diese trieb Claus die Tiere und verschloß sie wieder. Bald nachh dem Abzug der plündernden Truppen konnte er so das Vieh seinen Besitzern wohlbehalten zurückgeben.

Doch diese Hilfe in größter Not war schnell vergessen. Das Verhältnis zwischen den Dorfbewohnern und dem Schäfer verschlechterte sich immer mehr. Die ihm zustehenden Nahrungsmittel wurden verweigert, haltlose Beschuldigungen gegen ihn erhoben, schließlich trieb keiner mehr sein Vieh aus dem Stall, wenn er es zur Weide führen wollte.

Claus beschloß, sich an den undankbaren Dorfbewohnern zu rächen. Die Gelegenheit hierzu bot sich bald. Erneut bedrohten umherziehende Söldner das Dorf und die Bewohner baten den Hirten, abermals ihr Vieh zu retten. Bereitwillig kam er ihrem Wunsche nach, sammelte die Herde, führte sie wieder zu dem Felsen und öffnete ihn. Nachdem das letzte Tier in der Höhle verschwunden war, schlug er so fest mit dem Stab an den Felsen, dass dieser wie von Zauberhand einstürzte und ihn, seine beiden Hunde und den gesamten Viehbestand des Dorfes unter sich begrub.

Den Fels, an dem sich diese Begebenheit zugetragen haben soll, nannte man seit diesem Tag den Bös-Claus-Felsen.

Da, wo die Traun den vorderen Zug des Hochwaldes durchbricht, erheben sich zur Linken die Berge zu beträchtlicher Höhe. Hier liegt inmitten des Waldes eine liebliche Bergwiese, Stäbel genannt, die seit undenklichen Zeiten von den benachbarten Gemeinden als Weideplatz benutzt wird. Hoch über dem Stäbel türmen sich die Felsen des Vorkastells. In den umherliegenden Felsblöcken sehen die Umwohner die Reste einer mächtigen Burg, die einst hier gestanden hat und durch ein unbekanntes Ereignis zerstört wurde. Aber noch sind die Verliese der Burg vorhanden, wenn nur jemand den Eingang dazu wüßte. In den Gewölben liegen reiche Schätze, auch lagert viel Wein darin, aber in seiner eigenen Haut, da die Fässer längst gefault und abgefallen sind.

In einem dieser Gewölbe steht eine prächtige Kutsche mit einer goldenen Deichsel so nahe am Ausgange, daß ein Hahn sie herausziehen könnte. In der Kutsche sitzt die schönste Prinzessin der Welt und schläft seit vielen hundert Jahren.

Wer doch die Prinzessin mit ihren Schätzen gewinnen könnte! Wer sie aber erlösen will, der muß durch einen engen Gang in das Gewölbe kriechen. Da hängt ein schwerer Mühlstein an einem Seidenfaden. Ein greulicher Riese steht dabei. Er will den Faden durchschneiden, wenn man unter dem Stein durchkriechen will. Schon mancher Sterbliche ist von den Geistern an die Stelle geführt worden, um die verwunschene Prinzessin zu erlösen. Es ist ihm auch versprochen worden, daß ihm an seinem Leben keine Unbill geschehen solle. Wer aber dies mit Schrecken sah, kehrte sogleich um und konnte durch nichts bewogen werden, das Wagestück auszuführen.

Vor Jahren durchzogen Händler aus vielen Ländern unsere Heimat und boten ihre Waren feil.

So kam auch ein Tiroler ins Trauntal. Über seine Schulter baumelten die selbst angefertigten Holzlöffel und anderer Hausrat. Er wanderte von Haus zu Haus und verkaufte die Gegenstände. Gegen Abend kam er zur Hujets-Sägemühle und kehrte im dortigen Gasthaus ein, um ein Abendessen einzunehmen. Ermüdet ließ er sich nieder, nestelte seinen Geldbeutel auf und zählte den Erlös auf den Tisch. Draußen am Fenster stand ein Knecht. Mit gierigen Augen sah er das viele Geld. Er überlegte, wie er in den Besitz der Münzen kommen könne. Da hörte er, wie sich der Gast nach dem Wege nach Züsch erkundigte. Sofort stand des Knechtes Entschluß fest. Er lief voraus und versteckte sich seitwärts der Straße.

Die Dämmerung war hereingebrochen. Nichtsahnend machte sich der Tiroler nach Beendigung der Mahlzeit auf den Weg. Ruhe und Frieden lagen über den Wäldern.

Als er in die Nähe der preußischen Grenze kam, sprang plötzlich der Knecht aus dem Gebüsch hervor mit den Worten: „Geld her oder dein Leben!“ Der Tiroler weigerte sich. Es kam zu einem Handgemenge, bei dem der Knecht den Tiroler erschlug. Der Totschläger schleppte den Erschlagenen in den Straßengraben, deckte ihn notdürftig mit Laub zu und verschwand.

Am nächsten Morgen gingen die Holzarbeiter zu ihrer Arbeitsstätte. Als sie an den Tatort kamen, entdeckten sie Kampfesspuren. Bei näherem Hinsehen erkannten sie eine Hand, die aus dem Graben hervorragte. Sie scharrten das Laub weg und erkannten den Tiroler. Sie schaufelten ihm ein Grab, betteten ihn hinein und setzten einen Stein darauf, der im Volksmund noch heute der „Tirolerstein“ heißt. Der Knecht war verschwunden. Hat er sich den irdischen Richtern entzogen, indem er oldenburgisches Gebiet verließ und ins preußische floh? Wir wissen es nicht!

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